Das Salz Afrikas.

Henky Hentschel

Ich war auf dem besten Weg, meinen alten Traum zu verwirklichen und Schriftsteller zu werden. Ich hatte mir einen dieser Bürostühle gekauft, auf denen man stundenlang schmerzfrei sitzen kann, und da drauf sass ich stundenlang schmerzfrei und schrieb an einem Roman. Ich wohnte in Puerto Barrios an der ostküste Guatemalas, und in Puerto Barrios kann man wirklich arbeiten, weil man nämlich ausser arbeiten oder saufen überhaupt nichts tun kann in Puerto Barrios, es sei denn man sieht fern oder geht einer ins Netz. Ich schaffte drei Seiten pro Tag und es war abzusehen, wann der Roman fertig und ich folglich ein Schriftsteller sein würde, da kam ich auf die Idee, nach Livingston umzuziehen und das war wohl das Ende meiner Schriftstellerkarriere. Das Sitzfleisch ist weg. Jetzt schreibe ich keine Romane mehr, sondern nur noch Geschichten wie die, die ihr gerade lest, und dem Verfasser solcher Geschichten gebührt der Titel Schriftsteller ungefähr so, wie dem Direktor eines Flohzirkus der Titel "Internationaler Raubtierdompteur" gebührt.

Allerdings führe ich heute ein weitaus reicheres Leben, und schaue ich mir an, was sich hier täglich und vor allem nächtlich abspielt, hätte ich jetzt endlich auch genug Stoff, um nicht nur einen Roman, sondern sogar einen Roman mit Inhalt zu schreiben. Leider kann man das Leben nicht gleichzeitig erleben und beschreiben, und hinter dieser Tatsache versteckt sich auch der Grund, dass in den meisten nachhemingwayschen Romanen nichts drinsteht. Aber lassen wir das: Eigentlich will ich ja nur ein wenig von Livingston erzählen.

Der Ort liegt an der Stelle wo der Rio Dulce ins Karibische Meer fliesst, und hier findet sich ein Schnittpunkt der Kulturen, ein Rassencocktail, ein Verschiebebahnhof für historische Züge, an dem die Waggons umgestellt und neu gruppiert werden, um schliesslich begleitet von einander heftig widersprechenden Rhythmen in die Zukunft zu fahren. Die Gleise auf denen sie sich bewegen, sind aus der Essenz mittelamerikanischer, afrikanischer und europäischer Geschichte gemacht. Die Schwellen sind die Leiber verführerischer Tänzerinnen, blumengeschmückt und in Rum gebadet. Ich mus hier nicht lange nachdenken, um eine amüsantere Beschäftigung zu finden, als alleine in einem geschlossenen Zimmer vor einer Schreibmaschine und einem leeren Blatt Papier zu sitzen. Da liegt dieser Strand vor meiner Nase und an diesem Strand weht eine angenehme Brise, und die Fischer kommen herein und verkaufen ihren Fang und schneiden meterlange Sabalos mit der Machete auseinander, und daneben bauen zwei Alte ein Boot, das aus einem einzigen Stamm besteht, und alle fünfzig Meter erklingt heisse karibische Musik und es gibt etwas zu trinken und es gibt etwas zu rauchen und es gibt etwas zu sehen, denn die Schönen Livingstons kommen vorbeigeschlendert. Im Meer planschen hellschwarze und dunkelschwarze Buben, die jüngsten Sprösslinge der Garifunas, die den Küstenstreifen zwischen dem Süden von Honduras und dem Norden Belices bewohnen. Sie sind es, die das Leben in die Livingstoner Bude bringen, denn die Nachfahren der Maya im Umland haben ihr Temperament während der Conquista bei dem spanischen Eichmann Hernán Cortez gegen immerwährende Traurigkeit eingetauscht, und die Ladinos die das Völkergemisch um eine weitere Farbe bereichern, sind allesamt als weinerliche Schnulzensänger auf die Welt gekommen.

Die Garifunas also. Als die Indianer schon fast ausgerottet waren, kam der Mönch Bartolomé de las Casas auf den Gedanken zur Rettung der Übriggebliebenen und zur Stärkung der spanischen Volkswirtschaft den "Kurzgefassten Bericht von der Verwüstung der westindischen Länder" zu veröffentlichen. Der Erfolg war verblüffend: Spanien entschloss sich, die magere Arbeitskraft der schwächlichen Indianer auf leichtere Tätigkeiten umzuleiten, kaufte starke Sklaven aus den Stämmen der Zulus und Watussis und schickte sie für die Schwerarbeit in die Kolonien.Sie hielten besser durch und vielen von ihnen gelang es sogar zu fliehen. Bald waren die Antilleninseln St.Lucia, Dominica und St.Vincent nur noch nominell in den Händen der Kolonisatoren. In Wirklichkeit herrschten dort die entlaufenen Afrikaner, und nach ein paar Generationen waren die ortsansässigen Kariben-Indianer mit den Afrikanern verschmolzen: die Garifunas waren geboren.

Die Kultur, die die Afrikaner mitbrachten, war eine afrikanische Kultur. Wenn in Livingston Musik gemacht wird, dann herrscht die Trommel vor, und du hörst in ihr das Brüllen des Löwen und das Kreischen der Affen und auf den geschlossenen Lidern siehst du einen Stamm tanzen, tagelang. Nichts an dieser Musik erinnert an den Reggae Jamaicas oder den Zouk Martiniques. Hier spricht der Busch, und er spricht zwingend und deshalb sorgt auch diese Musik dafür, dass ich nun doch kein Schriftsteller mehr werde: Wenn die Jungs hier zu spielen anfangen, lasse ich alles stehen und liegen und renne hin. Dann nämlich beginnt der Tanz in Livingston und dieser Tanz ist wild und erotisch und mitreissend, und er breitet sich über die ganze halbdunkle Strasse aus, und die Bewegungen der Tänzer sind vollkommen und ihre Körper von einer kraftvollen Anmut, und ehe du dich versiehst, bist du auf deine europäisch-unbeholfene Art selber am Tanzen.

"Wir sind das Salz Afrikas," sagt Don Vetto stolz. "Wir haben noch die wahre Religion. An Ostern gehen wir um zehn in die katholische Kirche und um elf auf den Berg zum Grossen Haus und dann hält der Buyei, der grose Priester, seine Zeremonie und er raucht dabei und fällt in Trance und das ist unser Ostern.



Die Religion, der Glaube an die Ahnen und die guten Geister und die bösen Geister, durchwirkt das Leben der Garifunas wie die silbernen Fäden die bunten Naguas der Indianerinnen.

Mein Nachbar gehört ebenso zur Zunft wie die Frau, deren Hütte in dem Palmendschungel zehn Meter hinter meinem Haus steht. Dem Nachbarn kam ich auf die Schliche, als ich über das Schild an seiner Tür nachdachte "Schneiderei" steht da in grossen Lettern und darunter, wesentlich kleiner, "Naturheilmittel". Von wegen Schneiderei! Don Francisco ist ein brujo, ein Heiler und Zauberer, und er hat mir seine Fähigkeiten bewiesen als er mich mit einem Büschel Grünzeug von einer Furunkulose befreite. Er selber hats am Herzen, und vor ein paar Tagen hielt er mich auf der Strasse an: "Ich hab geträumt dass meine Mutter meinem Vater ein Stück Fleisch herausgerissen hat. Das war wegen meines Herzens. Jetzt muss ich einen Voodoozauber machen. "

Sprach's und verschwand in seinem Haus, bloss dass der Zauber wohl nicht gewirkt hat, denn zwei Tage später fuhr Don Francisco in die Hauptstadt zu einem Kardiologen, und jetzt ist er wieder gesund.

(Auszüge aus dem Text "Das Salz Afrikas" - Henky Hentschel bleibt für immer in meinem Herzen. Er schrieb mir einen wundervollen Brief aus Guatemala als ich nach dem Unfall im Krankenhaus lag)






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