ES WAR DER HAMMER!

Erinnerungen an das 188. Münchner Fußball-Lokalderby

Süddeutsche Zeitung 6.11.1998 / Von Franz Dobler

Der junge Mann mit Mikrophon will von mir wissen, ob ich mich noch an das legendäre 188. Lokalderby zwischen dem TSV 1860 und dem FC Bayern München erinnern könnte. Soll ich vielleicht lachen!? Der 7.11.1998 hängt in meinem Kopf als wär´s gestern gewesen! Ich glaube, es war das Jahr als Schröder Bundeskanzler wurde, und der Trainer von 1860 sein Versprechen nicht hielt, das Land zu verlassen, falls dieser Schröder Bundeskanzler werden würde. Es gab sogar Löwen-Fans, die dem Trainer weniger den Wortbruch übel nahmen, sondern dass er Sozialdemokratie mit Sozialismus verwechselte. Ich selbst fand manchen seiner Sprüche gar nicht schlecht. "Das ist doch Scheiße, was ihr schreibt, wen interessiert das?", hatte er einmal ein paar Journalisten umgegrätscht. Ich fragte mich das auch oft, und ich tu´s bis heute. Wenn ich mich nicht irre, dann war´s das Jahr, wo dann Tage nach dem Derby dieser ehemalige chilenische Diktator von diesem bayerischen Politiker von seinem Londoner Hausarrest befreit und rausgeflogen wurde, um bei uns seinen Lebensabend in Ruhe verbringen zu können. Aber ich kann mich auch täuschen. Und das war dann schon im neuen Jahr.

Seit Anfang der Woche wurde die Stimmung mit jedem Tag heißer, in den Straßen immer mehr blaue und rote Menschen, und auch der Rest wusste, dass die Konstellation Jahrhundertqualität hatte: Bayern Tabellenführer, 1860 zweiter Tabellenführer. Es war der Hammer! Und die Stimmung wurde täglich angeheizt durch Äußerungen von Spielern, Trainern, Präsidenten: Es geht um drei Punkte, sonst nichts. Natürlich ist das Derby was Besonderes, aber es ist ein Fußballspiel wie jedes andere auch. Ich bin kein Münchner, aber ich habe sowas gehört. Das Wichtigste ist, dass der Münchner Fußball gut dasteht, den Rest sieht man dann schon. Ich glaube, die Spannung wird überbewertet, denn wenn wir verlieren, sind wir immer noch Erster... Und dann auch noch der Bayern-Sieg in Barcelona. Schon fünf Tage vor dem Spiel hatte ich am Rotkreuzplatz ein Singetreffen miterleben dürfen. Es waren nur drei gegen vier, aber sie hatten ihre Freude. "Ihr seid schwule Säu-häu-e!" sangen die Sechziger. Und die Bayern-Fans sangen: "Ihr seid schwule Säu-häu-e!" Ich war gerührt. Denn sie verwandelten mich zurück in den jungen Mann, der am Tag des 174. Derbys am Starnberger Bahnhof angekommen war, eine ober-bayerische Kleinstadt im Kreuz und die Landeshauptstadt im Visier. Vor der Treppe zur Arnulfstraße balgten sich zwei Penner, kein Freund feuerte sie an, sie waren ganz für sich. "Ihr blöden schwulen Säue, Millionärs-Ärsche, blöde!" "Lieber sind wir schwul, als dass wir absteigen!"

Eine Stadt, in der sich die Armen für die Reichen schlagen, kann so langweilig nicht sein, dachte ich, und fuhr dann zu meinem neuen Zimmer im Hasenbergl. Später wollte ich mir das Derby ansehen, zum ersten Mal in echt. Die Hausmeisterin lud mich in ihre Küche ein, wir tranken Bier, diskutierten die Mannschaftsaufstellungen und waren schließlich mit dem Radio "Heute im Stadion". Nach so vielen Jahren darf ich gestehen: ich war schwul. Zumindest nach texanischem und bayerischem Maßstab: schwul ist ein Mann, der sich für Frauen mehr als für Fußball interessiert. Das Spiel endete 1:1, und bis zum nächsten Münchner Bundesliga-Duell sollte es 13 Jahre dauern. In den Tagen des 188. Derbys war ich kein Journalist, hatte aber so einen Auftrag. Ich entschied mich, den besten der guten alten Journalisten-Tricks anzuwenden, den Taxifahrer-Trick. "Was sagen jetzt Sie zum Derby?" fragte ich den ersten. "Ja, das Derby", sagte er. Eine Minute Pause. "Das Derby hat seine eigenen Gesetze." Ende. Ich probierte das nächste Taxi.

"Mein Großvater war Löwe. Mein Vater war Löwe. Ich bin Löwe. Mein Sohn ist Löwe. Mein Enkel ist Löwe. Einmal Löwe, immer Löwe. Das ist der Unterschied. Die Mannschaft ist wie wir, brave Arbeiter. Die Bayern sind die Schnösel, Champagnertrinker, Schwätzer. Am Samstag gibt´s die Rechnung. Unser Präsident sagt, wir sollen Karl-Heinz zu ihm sagen. Mit Pacult hätten wir den Zweiten Weltkrieg gewonnen, mit dieser Mannschaft gewinnen wir den Dritten. Aber das Derby hat natürlich seine eigenen Gesetze." Dann erwischte ich endlich eine Taxifahrerin. "Das Derby hat seine eigenen Gesetze! Schon seit 1902. 95 Bayern-Siege, 44 für Sechzig. Kein Sieg für Sechzig seit dem Wiederaufstieg ´94." Ich klatschte in die Hände, und sie erklärte, das müsste man hier für die Taxi-Prüfung wissen. "Ja, das wird ein heißes Spiel, 1860 hat seit November 1977 nicht mehr gegen den großen Bruder gewonnen!" Ich schaute aus dem Fenster, nachdenklich, 1977, das legendäre Derby, ich war 17 Jahre alt. Wir trafen uns in einem Partykeller, um es in der Sportschau anzusehen. Aber neben mir auf dem Sofa saß das Mädchen, mit dem ich sogar lieber Rechenaufgaben gelöst hätte. Wir machten Spielchen mit unseren Händen, die niemanden vom Fernseher ablenkten, außer uns selbst. Deshalb sah ich alles immer nur zu spät, in Zeitlupe, die Tore, Rummenigges Watsche für Hofeditz und die rote Karte, den Elfer in der Schlussminute. Seitdem hatte Sechzig nicht mehr gewonnen. Auch dieses 188. Derby fand an einem echten Novembertag statt. Ich wachte lange vor meinem Radiowecker auf. Ich ging sofort zum Computer und in mein Tagebuch rein. Ich schrieb: "08.33 Ein echter Novembertag. Wird schon ein derbes Derby werden. Kann man das jetzt so stehen lassen? Klingt lustig. Das ist dann ja wieder fast okay so." So aufgeregt war ich, dass ich so was schrieb!

Aber jetzt sind wir im Jahr des 220. Derbys, und das Spiel wird angepfiffen, und ich verspreche dem jungen Mann mit seinem Mikrophon, ihm nachher den ganzen Quatsch mit dem 188. Derby zu Ende zu erzählen. "Wieso denn Quatsch", sagt der junge Mann, "das waren doch tolle Zeiten!" Ich schaue mir das immer noch halb zerbombte Grünwalder Stadion an. Drei Tausend sind heute zum 220. Derby gekommen, so viel wie lange nicht. "Naja", sag ich zu ihm.






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