DU MUSST DEN KOPF VERGESSEN

Der Zeh mit dem schweren Silberring kräuselt sich, der ganze Fuss hebt sich, dreht sich und landet sanft auf dem Boden. Nago Koité erklärt einer Teilnehmerin eine Tanzbewegung. Sein ganzer Körper ist beteiligt, dehnt sich, beugt sich, schnellt hoch. Seit 1985 ist Nago Koité in Deutschland. Zuerst kam er nach Mainz, nach Berlin, wo er heute noch mit seinen Brüdern lebt. Das ganze Jahr reist er durch Deutschland, die Schweiz, Senegal. Er gibt Tanzworkshops und Konzerte mit seinen Brüdern. Seine Schülerinnen und Schüler lieben ihn: Er ist pünktlich, kann seine Arbeit gut vermitteln, vor allem liebt er diese Arbeit und die Menschen, die er unterrichtet, hat die besten Musiker weit und breit und ist ein atemberaubend guter Tänzer. Der ganze Körper des 43jährigen Mannes ist geschmeidig wie der eines Reptils. Keine Mühe scheinen ihm diese Bewegungen zu machen, die die Gruppe an den Rand der Belastbarkeit bringen. Die faszinierende Mischung aus Disziplin und Weichheit, seine gute Laune, die Grosszügigkeit und seine grosse Sympathie für alle, die er unterrichtet, macht ihn zu einem gefragten Lehrer. Zum Abschluss des viertägigen Kurses lädt er alle, die noch mit ihm in die Wirtschaft gehen zum Trinken ein.

Luisa: Wann hast du angefangen, in Deutschland Tanz zu unterrichten?
Nago: Das war 1985. Deutsche Künstler, die ich drei Wochen im Senegal unterrichtet habe, haben mich hierher geholt, nach Mainz. Wir haben ein Stück gemacht, das hiess ‚Vergessene Elemente‘. Wir haben das auch im Senegal gespielt, im Centre Blaise Senghor und an der Universität. Der Botschafter war da und der hat mir geholfen, eine Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland zu bekommen. Erstmal für ein Jahr.
Luisa: Da hast du auch nicht mit deinen Brüdern gearbeitet sondern mit dieser deutschen Theatergruppe.
Nago: Ja, ich war da ganz alleine. Aber ich hatte dann auch Auftritte in Frankfurt, akrobatischen Tanz und Talking Drums. Da hat mich jemand gesehen und hat mir einen Kontakt gemacht zu der Gruppe ‚Saraba‘. Wir haben dann eine Tournee durch Deutschland gemacht, dadurch habe ich Kontakt zu Tanzstudios bekommen.
Luisa: Und da hat das mit den Kursen angefangen.
Nago: Ja, genau. Durch meinen Erfolg sind dann auch meine Brüder gekommen, Sidi, Talla. Dann wurde ich eingeladen nach Berlin, ins Haus der Kulturen, da war ein Minister für Jugend und so, dem hat das sehr gefallen. Dadurch haben wir Papier bekommen, dass andere Musiker nachkommen können. Seit 1986 lebe ich in Berlin.
Luisa: Obwohl du ja nicht so viel dort bist. Ich habe dein Programm auf deinegesehen, du bist viel unterwegs!
Nago: Die ersten vier Jahre habe ich in Berlin regelmässig Tanzunterricht gegeben. Fünf Jahre später habe ich geheiratet. Elf Jahre haben wir zusammen geschafft... Dann kam die Trennung. Ich wohne aber immer noch da. Ich habe eine Tochter die N‘Gone und Lieselotte heisst, nach meiner Mutter und der Mutter meiner Frau. Sie hat zwei Namen, einen afrikanischen und einen deutschen. Sie ist jetzt sieben und sie war auch schon drei oder viermal im Senegal.
Luisa: Machst du auch etwas im Senegal?
Nago: Ja aber nicht für Geld. Ich will einen Kulturaustausch. Wenn die Leute kommen, dann leben die mit mir und lernen das Leben dort kennen. Ich möchte, dass sie auch ein Stück Leben mitbekommen. Das ist natürlich nicht immer einfach. Ich setze mich dann oft hinaus und höre den Kindern, den Jugendlichen zu, was die denken und wollen. Das ist wichtig für mich. Vielleicht sind die Leute im Senegal arm, materiell, aber die Leute hier in Deutschland sind auf eine andere Art arm, die haben zwar Geld und alles, aber sie sind nicht glücklich. Sie sind auf eine seelische Art arm.
Luisa: Das merkst du auch beim Tanzen?
Nago: Teilweise, aber die Leute, die zum Tanzen kommen, sind schon aussergewöhnlich, das sind Leute, die auf die Suche gehen, nach Lebensfreude, nach Liebe für die anderen Kulturen...
Luisa: Du hast auch schon Filme gemacht?
Nago: Ja, ich habe drei Filme gemacht, die im Senegal und in Deutschland gedreht wurden.
Luisa: Was bedeutet dir Tanzen?
Nago: Tanzen ist leben. Das hat nichts mit Geschäft zu tun. Es ist mein Leben. Dadurch bekomme ich Energie. Es ist nicht Arbeit für mich, es ist auch ein Mittel, dieser europäischen Kultur näherzukommen. Es gibt für mich nichts Schöneres als diesen Austausch, diese Begegnung der Kulturen. Ich gebe nicht nur, ich bekomme auch gleichzeitig was zurück. Ich lerne auch. Wie könnte ich ohne Tanz und Musik hier weiterleben? Das wäre einfach zu schwer. Deswegen fangen viele Afrikaner nachdem sie sehen, wie schwer es hier ist, an ein paar Stunden Trommelunterricht zu nehmen. Viele die hier sind und sich Lehrer nennen, sind keine Musiker. Die Leute werden das irgendwann mal merken. Diese Arbeit, die wir machen, meine Brüder und ich, ist etwas was wir geerbt haben. Wir kommen aus einer Griot-Familie, wir machen das nicht nur, weil wir in Deutschland sind. Das ist schon immer unser Beruf, seit dem Urgrossvater. Griot sind die Geschichtenerzähler, Schuhmacher, Schmied, Musiker, Tänzer.
Luisa: Kennst du Oumou Sy, die Modemacherin. Sie sagt, alles muss sich vermischen.
Nago: Und das hat nicht damit zu tun, dass Afrikaner unbedingt nach Europa kommen müssen, oder Europäer nach Afrika. Das hat mit Respekt zu tun, dass man die Menschen respektieren kann, so wie sie sind. So kann man ein Stück von dem Anderen mitbekommen.
Luisa: Du lebst in Berlin aber auch in M’bour, stammst du auch von dort?
Nago: Mein Grossvater stammt aus Mali, es gibt ja viele Stämme, viele Königreiche im Senegal. Mein Grossvater war Mandinke, meine Grossmutter Serer. Mein Vater ist bei dem Bruder meiner Grossmutter in Dakar aufgewachsen. Da hat er getrommelt und als Maurer gearbeitet. Dann hat er in M’bour ein Haus gekauft und da sind wir geboren. In M’bour gibt es siebzehn verschiedene Stämme und jeder Stamm hat eine eigene Musik, eigenen Tanz und Trommelrhythmen, dadurch haben wir viele verschiedene Arten gelernt, aus der Casamance, aus Mali und Guinee, auch Wolofrhythmen, Talking Drums...
Luisa: Hast du auch Beziehungen zur Casamance?
Luisa: Glaubst du an grigris (magische Amulette)?
Nago: Ich glaube hundertprozent daran. Ich habe auch selber schlechte Erfahrungen damit gemacht. Leute die neidisch waren auf meinen Erfolg, haben versucht den zu brechen. Ich war drei Jahre sehr krank und war in vielen Krankenhäusern hier in Deutschland, die haben alles mögliche versucht und konnten mir nicht helfen. Dann bin ich wieder zurück nach Hause gegangen, zu meinem Marabout (heiliger, zauberkundiger Mann) und der hat mich fast geheilt, noch nicht ganz, aber es ist nur noch wenig übrig, ich trage überall grigris.

Er spricht mit Stephanie, einer Tanzlehrerin und versucht ihr, die Probleme mit ihrer Arbeit klarzumachen.
Stephanie: Ich versteh die Musik nicht.
Nago: Die Musik kannst du nicht verstehen.
Stephanie: Dann muss ich trommeln lernen...
Nago: Sitzenbleiben, cool sein, die Musik in dich einfliessen lassen, spüren. Wenn du sitzt, die Augen schliesst und hörst, kapierst du sie. Aber du lernst nicht mit den Augen. Komm nach Afrika. Du arbeitest viel mehr mit dem Kopf als mit dem Bauch. Du bist schnell...
Stephanie: Ich bin schnell, ohne zu überlegen, aber das kommt nicht vom Kopf, das ist ganz spontan...
Nago: Man muss auch manchmal etwas tief gehen und wieder hochkommen lassen...
Stephanie: Das mach ich nicht, das stimmt...
Birgit: Sie ist intelligent und sie ist schnell und impulsiv...
Nago: Sie ist zu schnell. Du verstehst ganz genau, du lässt es nicht tief gehen...
Stephanie: Das stimmt, manchmal sag ich was, ohne zu überlegen...
Nago: Umsetzen hat was mit Bauch zu tun. Schau mal wie ich mich bewege, die Musik fängt an, dann bewegt sich mein Körper, von den Füssen her, dann geht mein Kopf dahin und der Körper dahin (zeigt es, alle lachen, weil es mühelos und schön ist) das geht, weil ich die Musik hier drin hab, ich höre nicht die Trommeln zusammen, ich höre jede, die unterhalten sich und ich greife das mit dem Körper auf, das hat nichts mit Verstand zu tun.
Luisa: Wenns gut läuft ist die Musik Teil von dir. Aber wenn du schaust und über die Schritte nachdenkst dann kommst du sofort aus deinem Rhythmus. Sobald ich drüber nachdenke, stolpere ich über meine eigenen Schritte. Es ist halt nicht so einfach für uns. Wir sind ja darauf gedrillt, immer gradeaus zu gehen, nach vorn zu schauen, vorwärts zu denken...
Stephanie: Afrikanische Musik ist auch sehr komplex, mit vielen Stimmen auf die du hören musst, das muss man einfach hundertmal hören...
Nago: Ich höre die Musik immer anders, es ist wie ein Dialog, wenn ich mit einem Takt nicht glücklich bin, kann ich einen anderen nehmen und das was ich mir wünsche einfach ausführen.

Stephanie: Und weil du selber Trommler bist, kannst du dem Trommler auch sagen, mach es so oder so.
Nago: Das musst du dann lernen. Bei uns sagt man binbin, das heisst langsam. Du kannst es mit dem Gehen lernen. Wenn Kofi Koko arbeitet, fängt er immer so an, mit dem Gehen.
Birgit: Auf Kofi bin ich nicht so gut zu sprechen. Der ist arrogant.
Nago: Der ist nicht arrogant. Das war vielleicht einmal so...
Schülerin: Naja, schlechter Tag vielleicht...
Nago: Du bist auch manchmal arrogant, oder?
Birgit (gedehnt) Jaa..
Luisa: Ist doch egal ob er arrogant ist, trotzdem kannst du vielleicht was lernen, wenn er was kann, was du lernen willst. Dann nimmst du dir halt was du brauchen kannst.
Stephanie: Der Lehrer muss ja nicht dein Freund sein.
Birgit: Aber es muss was Positives von ihm ausgehen. Dann hat er immer was mit dem Brustbein gemacht, zwanzigtausendmal dieses Brustbein...
Nago: Dann gibt’s immer diese Leute die ganz vorne stehen wollen. Das machen die Deutschen oft, wenn sie etwas bisschen besser können, sagen sie den anderen, ihr seid noch nicht so gut, das könnt ihr noch nicht...
Birgit: Das machen alle, das machen die Amerikaner auch...
Luisa: Wir sind halt ehrgeizig...
Nago: Immer vergleichen, ihr seid noch nicht gut, ihr könnt das noch nicht...
Stephanie: Das ist doch beim Tanzen so, ein paar stehen immer da, ihr seid noch nicht so weit, das ist auch in New York oder in Paris so...
Birgit: Wie beim Ballett: wer ist in der ersten Reihe.

Alle lachen.

Luisa: Nago, kannst du dir vorstellen, wieder ganz zurück nach M’bour zu gehen?
Nago: Ich habe eine Tochter, die deutsch ist, auch. Ich möchte mit ihr zusammen sein und ihr auch etwas vom Senegal geben.
Irgendwie bin ich in der langen Zeit hier auch Deutscher geworden.

Nago Koité: T. 030/30818448 (afrikanischer Tanz, Trommeln)
Stephanie Willeke/Bananamama: T. 08951099632 (afrik. Tanz)
Birgit Seitner: T. 089/226768 (Bauchtanz)






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